Erziehung heute mit Rousseau






In Rousseaus pädagogischem Hauptwerk Émile oder über die Erziehung wird die fiktive Erziehung eines Jungen beschrieben. Die Erziehung beginnt im Kindesalter und endet mit der Heirat Émiles mit 25 Jahren. Der Zögling wird in seiner Kindheit weitgehend von potenziell negativen kulturellen Einflüssen abgeschirmt. Rousseau führte dazu den Terminus der natürlichen und negativen Erziehung ein.

So wie pflanzliches Leben bei entsprechenden Umweltbedingungen von allein wächst, soll auch die urwüchsige Natur des Kindes die Chance haben, sich von selbst zu entfalten. Eine direkte Einflussnahme von außen auf die Entwicklung des Kindes ist demnach bis zur Vollendung der Urteilsbildung zu vermeiden. Ein erheblicher Teil der Erziehung findet daher auch in freier Natur statt, wo sich Lerngelegenheiten bieten, wenn man nur hinwandert.

Das Hauptziel in der Jugendzeit Émiles, die Rousseau in Ermangelung eines treffenden Terminus „zweite Kindheit“ nennt, ist die Bildung des moralischen Urteils. Rousseau betont zwar immer wieder die Selbsttätigkeit des Zöglings, der sich alles Nützliche durch Versuch und Irrtum aneigne, doch die eigentliche Kunst der Erziehung besteht darin, Émile so weit durch nichtdirektive Führung zu beeinflussen, dass sein Wille mit dem des Erziehers übereinstimmt. Diese Paradoxie kennzeichnet die Pädagogik Rousseaus. Die pädagogische Arbeit findet gewissermaßen „hinter seinem Rücken“ statt. Sie konzentriert sich auf die Inszenierung von Lehr-Lernszenen (Volker Kraft) und begleitet die Lernschritte durch Ermunterung und anregende Fragen sowie geduldiges Ausprobierenlassen. So heißt es in Émile oder über die Erziehung: „Folgt mit Eurem Zögling dem umgekehrten Weg. Laßt ihn immer im Glauben, er sei der Meister, seid es in Wirklichkeit aber selbst. Es gibt keine vollkommenere Unterwerfung als die, der man den Schein der Freiheit zugesteht. 

So bezwingt man sogar seinen Willen.“ Wenige Seiten davor riskiert Rousseau seine pädagogische Grundregel: „Ob ich es wage, hier die größte, wichtigste und nützlichste Regel jeglicher Erziehung darzulegen? Sie heißt: Zeit verlieren und nicht gewinnen.“ Sofort klärt er den ob dieser Regel verdutzten Leser über diesen scheinbaren Widerspruch auf: „Der Durchschnittsmensch verzeihe mir meine Paradoxa – man braucht sie, wenn man nachdenkt. Und was man mir auch entgegenhalten mag – ich bin lieber der Mann der Paradoxa als der der Vorurteile.“ Der nach den Prinzipien einer freien Selbstentfaltung erzogene Mensch und zugleich sozialisierte Bürger ist die Grundlage für den im Gesellschaftsvertrag (Vom Gesellschaftsvertrag oder Prinzipien des Staatsrechtes) angeführten Gesetzgeber.

Besonders hervorzuheben ist Rousseaus Versuch, pädagogisches Handeln von der Sprache her zu begründen (Ladenthin). Damit bereitet er Anschauungen vor, die alles menschliche Denken, Erkennen, Gestalten und Handeln als Modi von Sprache verstehen (Johann Georg Hamann, Johann Gottfried Herder, Wilhelm von Humboldt).
Rousseaus Theorien beeinflussten Immanuel Kant und viele namhafte Pädagogen, so z. B. Johann Heinrich Pestalozzi, Joachim Heinrich Campe, Adolph Diesterweg, Maria Montessori, Ellen Key, Hartmut von Hentig und Dietrich Benner.

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