Corona und die Nebenwirkungen
Berlin/Dortmund/Essen, 28. Februar 2024
Statistisches Phänomen –
Signifikante Nebenwirkungen von Corona-Impfungen wohl seltener als in Studie
ermittelt
Unstatistik des Monats:
Seit Beginn der
Corona-Impfkampagnen wird intensiv über mögliche Nebenwirkungen dieser
Impfungen diskutiert. Eine neue, groß angelegte Studie, über die unter anderem von focus.de („99 Millionen Menschen analysiert - Riesen-Studie zeigt die häufigsten
Nebenwirkungen der Corona-Impfung“) und in dem Gesundheitsmagazin FITBOOK („Bisher größte Studie zu Corona-Impfungen identifiziert mögliche
Folgeerkrankungen“) berichtet wurde, hat nun das Risiko
unerwünschter Nebenwirkungen der Corona-Impfungen genauer untersucht und
herausgefunden, dass die Impfung das Risiko für das Auftreten von
Autoimmunkrankheiten (das Guillain-Barré-Syndrom, eine seltene Autoimmunkrankheit,
bei der das Immunsystem des Menschen die eigenen Nervenzellen zerstört und
disseminierte Enzephalomyelitis), Venensinusthrombosen und
Herzmuskelentzündungen (Perikarditis, Myokarditis) signifikant erhöht.
Was genau hat die Studie gemacht? Die
Autoren haben im Rahmen eine Kohortenstudie von mehr als 99 Millionen Personen
aus 10 Regionen in 8 Ländern das erwartete Risiko von 13 neurologischen,
hämatologischen und kardialen Erkrankungen in der Zeit vor der Corona-Pandemie
ermittelt und diese mit dem beobachteten Aufkommen dieser Erkrankung nach den
COVID-19-Impfkampagnen verglichen und daraus das sogenannte OE-Verhältnis, also
die Relation zwischen beobachteten und erwarteten Werten berechnet. Die
Wissenschaftler konzentrierten sich dabei auf die drei am häufigsten
verabreichten Impfstoffe von Pfizer/BioNTech, Moderna und AstraZeneca. Alle
OE-Werte über 1,5 wurden dann als Signale für mögliche unerwünschte Wirkungen
der COVID-19-Impfstoffe gewertet. Von den insgesamt 143 statistischen
Tests, die die Autoren durchführten, waren die empirischen OE-Werte in 12 Tests
statistisch signifikant höher als 1,5. Für den Impfstoff von AstraZeneca fanden
die Autoren ein fast 7-fach erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Perikarditis
bei der dritten.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass
Ergebnisse in Studie fälschlicherweise als signifikant deklariert werden
Was ist das Problem der Studie? Das Problem
der Studie liegt in dem in der Statistik seit langem bekannten Phänomen, dass
bei multiplen Tests eine Hypothese zu oft verworfen wird. Bei ihren insgesamt
143 Tests verwenden die Autoren eine Irrtumswahrscheinlichkeit von fünf
Prozent, d.h. sie irren sich nur in fünf Prozent der Fälle, wenn sie behaupten,
dass der wahre OE-Wert größer als 1,5 ist (und in Wahrheit kein Effekt
vorliegt). Selbst wenn die Corona-Impfung keine Nebenwirkungen hätte, würde man
also bei 143 Tests etwa 7 signifikante Testergebnisse erwarten, bei denen die
Hypothese „OE-Wert ist kleiner als 1,5“ fälschlicherweise verworfen wird. Die
Problematik der Studie kann auch anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht
werden: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein statistisch signifikantes Ergebnis
auch sachlich signifikant ist, entspricht der Wahrscheinlichkeit, bei einem
20-seitigen Würfel keine 1 zu würfeln. Das klingt zunächst beruhigend. Wenn nun
aber nicht nur ein Würfel geworfen wird, sondern 100 (weil entweder 100
Wissenschaftler jeweils eine Hypothese testen oder ein Wissenschaftler 100
Hypothesen), dann ist es plötzlich sehr wahrscheinlich, dass dabei
fälschlicherweise Ergebnisse als signifikant deklariert werden.
Einer von uns hat mit dieser Erkenntnis
einmal nachgewiesen, dass an Börsentagen, an denen geteilt durch sieben der
Rest 1 ist (also am 1., 8., 15., 22. Und 29. eines Monats), der deutsche
Aktienindex DAX eine signifikant höhere Rendite aufweist als sonst. Wie hat er
das gemacht? Er hat Tausende von Tests durchgeführt: Geteilt durch sieben Rest
zwei, Rest drei, Rest vier, Geteilt durch acht Rest eins, Rest zwei und so
weiter. Wenn man nur genügend Tests durchführt, findet man mit Sicherheit eine
signifikante Abweichung. Und das war bei Geteilt durch sieben Rest 1 der Fall.
Unerwünschte Nebenwirkungen sollten
beobachtet und weiter untersucht werden
Um das beschriebene Problem der multiplen
Tests in den Griff zu bekommen, haben Statistiker mehrere Korrekturmethoden
entwickelt. Eine dieser Korrekturen ist die so genannte
„Bonferroni-Adjustierung“. Nähert man diese Adjustierung grob an die Ergebnisse
der obigen Studie an, so verbleiben noch 8 Tests, bei denen der beobachtete
QE-Wert signifikant größer als 1,5 ist.
Fazit: Häufig sind statistisch signifikante Ergebnisse alles andere als sachlich signifikant, insbesondere wenn sehr viele Tests durchgeführt werden. Im Falle der Studie zu den Nebenwirkungen der Corona-Impfung ergeben sich jedoch auch unter Berücksichtigung der Problematik der Mehrfachversuche einige unerwünschte Nebenwirkungen, die beobachtet und weiter untersucht werden sollten. Dabei sind jedoch die Hinweise der Autoren zu berücksichtigen, dass zum einen die Nebenwirkungen nur bei einem sehr kleinen Bruchteil der Corona-Impfungen auftreten und zum anderen die weitaus schwerwiegenderen gesundheitlichen Folgen einer Corona-Infektion den weitaus geringeren gesundheitlichen Risiken der Nebenwirkungen der Impfungen gegenübergestellt werden müssen.
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Weiterführende Literatur: „Grüne fahren SUV und Joggen macht unsterblich – Über Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik“, das zweite Unstatistik-Buch (ISBN 9783593516080), erhältlich im Buchhandel zum Preis von 22 Euro.
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