Brustkrebsfrüherkennung – Was Medien berichten und worüber nicht
Wie
gehen nun deutsche Medien damit um, wenn einerseits das Mammographie-Screening
ausgeweitet wird, doch andererseits die wissenschaftliche Metaanalyse keinen
Hinweis findet, dass es Leben verlängert? Man könnte beides berichten und sich
dann fragen, warum Wissenschaft kaum zur Kenntnis genommen wird. Über die
Metaanalyse war jedoch so gut wie nichts zu hören und lesen. Eine begrenzte
Suche über Google, Yahoo und NewsReader für die vergangenen 4 Wochen ergibt 24
Medienberichte über die Ausweitung auf 75 Jahre, aber nur vier über die
Metastudie. Letztere waren in der ÄrzteZeitung, Ärzteblatt, Medscape und Onkologie kompakt zu finden, alles medizinische Zeitschriften und
Onlineportale, die von der allgemeinen Bevölkerung kaum gelesen werden.
Deutsche
Medien erwähnen die Metastudie zu Krebsscreenings kaum
Die
24 Medienberichte über die Ausweitung des Mammographie-Screenings auf 75 Jahre
erwähnten die wissenschaftlichen Ergebnisse der Metastudie nicht. Dazu gehört
die tageschau.de, NDR, die Frankfurter Rundschau, der Berliner Tagesspiegel, der Stern, NWZ online und die Sächsische.de. Während sich die deutsche Medienlandschaft
weitgehend ausschwieg, ist dies in anderen Ländern nicht passiert. Beispielsweise
haben der Guardian, CNN und abc.net.au ausführlich berichtet.
In
Deutschland wird mit dem Slogan „Screening rettet Leben“ geworben. Also denkt
man, es sei bewiesen, dass man mit Screening länger statt ohne Screening lebt.
Dem ist jedoch nicht so – mit der möglichen Ausnahme der kleinen
Darmspiegelung. Der Gemeinsame Bundesausschuss behauptet auch nicht, einen
Nachweis einer Verlängerung des Lebens durch Mammographie-Screening bei Frauen
in irgendeinem Alter zu haben, sondern definiert Nutzen lediglich als Verringerung der
brustkrebsspezifischen Sterblichkeit. Diese liegt bei Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren
bei 1 in je 1.000 Frauen. Aber es ist schon lange bekannt, dass unter jenen,
welche zur Früherkennung gehen, zugleich 1 in je 1.000 Frauen mehr mit einer
anderen Krebsdiagnose stirbt (oft ist die Todesursache nicht eindeutig zuzuordnen).
Also sterben gleich viele Frauen an Krebs (einschließlich Brustkrebs), mit oder
ohne Mammographie-Screening. Damit wird klar, warum das Screening kein Leben
rettet oder verlängert. Die Faktenbox des Harding-Zentrums für Risikokompetenz an der Universität Potsdam macht diesen Sachverhalt
für jeden einfach verständlich. Diese Erkenntnisse könnte man ehrlich
allen Frauen erklären, aber stattdessen werden im Brustkrebsmonat Oktober von
Promis rosa Schleifchen, Teddybären und Flamingos verteilt.
Frauen
sollten informiert entscheiden können
Der
Auftrag der Medien, gerade der öffentlich-rechtlichen, wäre eigentlich, die
Bürger über wissenschaftliche Erkenntnisse zu unterrichten, die für ihr Leben
wichtig sind. Zugleich berichten sie regelmäßig über neue Screening-Tests für
Krebs, selbst wenn keine wissenschaftlichen Studien, sondern nur
Geschäftsinteressen vorliegen, wie bei der „Weltsensation Bluttest“ der
Universitätsklinik Heidelberg (siehe die „Unstatistik des Monats“ vom Februar 2019). Krebsscreening ist leider auch zu einem
Milliarden-Geschäft mit der Angst vor dieser schrecklichen Erkrankung geworden.
Die meisten Medien schweigen sich jedoch über die wissenschaftlichen
Erkenntnisse aus oder nehmen sie gar nicht zur Kenntnis. Frauen und
Frauenorganisationen sollten sich das nicht mehr gefallen lassen und auf ihrem
Recht bestehen, informiert entscheiden zu können, statt sich unbewusst von
kommerziellen Interessen steuern zu lassen.
Wir
sind neugierig, welche Medien über diese Unstatistik berichten werden.
Sabine Weiler (Kommunikation RWI), Tel.: 0201/ 8149-213, sabine.weiler@rwi-essen.de
Ihre
Ansprechpartner/in dazu:
Prof. Dr. Gerd
Gigerenzer, Tel.: (030) 805 88 519
Sabine Weiler
(Kommunikation RWI), Tel.: 0201/ 8149-213,
sabine.weiler@rwi-essen.de
Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik. Unstatistik-Autorin Katharina Schüller ist zudem Mit-Initiatorin der „Data Literacy Charta“, die sich für eine umfassende Vermittlung von Datenkompetenzen einsetzt. Die Charta ist unter www.data-literacy-charta.de abrufbar.
Neu
erschienen: „Grüne fahren SUV und Joggen macht
unsterblich – Über Risiken und Nebenwirkungen der Unstatistik“, das zweite Unstatistik-Buch (ISBN
9783593516080), erhältlich im Buchhandel zum Preis von 22 Euro.
Bei Weiterverbreitung von Texten aus der Reihe "Unstatistik des Monats" muss klar erkennbar sein, dass es sich um die Übernahme eines fremden Textes handelt. Zudem ist die Quelle https://www.unstatistik.de zu nennen. Bitte informieren Sie die Pressestelle des RWI über die Verwendung des Textes unter presse@rwi-essen.de. Das Urheberrecht bleibt bestehen.
Fon: +49 201 81 49-213
sabine.weiler@rwi-essen.de
www.rwi-essen.de | twitter.com/RWI_Leibniz | twitter.com/RWI_Leibniz_en
RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V.
Hohenzollernstr. 1-3
D-45128 Essen
Postanschrift: Postfach 10 30 54, 45030 Essen
Executive Board/Vorstand:
Prof. Dr. Dr. h. c. Christoph M. Schmidt (Präsident), Prof. Dr. Thomas K. Bauer
(Vizepräsident), Dr. Stefan Rumpf (Administrativer Vorstand)
Registration-No./VR 1784 beim Amtsgericht Essen
Kommentare
Kommentar veröffentlichen