Kommt die Zensur im Netz?
In Zeiten der immer weiter fortschreitenden Digitalisierung von Kommunikation, Gesellschaft und Politik sind Bürgerrechte ständigen Gefahren ausgesetzt. Jetzt haben die Zeit-Stiftung sowie zahlreiche bekannte Personen aus Politik, Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft eine »Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union« erarbeitet und dem Europäischen Parlament sowie der Öffentlichkeit vorgelegt.
Die Initiatoren wollen damit eine Diskussion über die Zukunft der digitalen Gesellschaft anstoßen und machen ihre Sorge um Massenverarbeitung von Nutzerdaten, unkontrollierbare künstliche Intelligenz und anderen Risiken der Digitalisierung deutlich.
Experten bezweifeln, dass der vorgestellte Entwurfstext im Europaparlament überhaupt geeignet ist, um die digitale Kommunikation privater Personen, das geschäftliche Handeln von national und global agierenden Unternehmen, die Massenüberwachung zu regeln?
Big Data oder die Erhebung und Auswertung personenbezogener Daten in einen juristischen Kontext einzuordnen ist schwierig. Denn laut Aussage von Experten gewährleisten bereits das Grundgesetz, die EU-Grundrechtecharta sowie die Europäische Menschenrechtskonvention den Schutz von Persönlichkeitsrechten, den Schutz der Meinungs- und Pressefreiheit sowie das Recht auf informelle Selbstbestimmung.
Zudem kritisieren viele, dass die Charta zur digitalen Selbstbestimmung Forderungen sowohl gegenüber staatlichen Stellen als auch gegenüber Privatleuten formuliert. Dagegen waren bis dato Grundrechte immer Abwehrrechte von Privatpersonen gegenüber dem Staat und sollten die stärkere Position staatlicher Stellen gegenüber dem Bürger ausgleichen.
Im Text der veröffentlichten Charta sollen nun auch Private grundrechtsverpflichtet sein, obwohl diese sich im Konfliktfall auf Augenhöhe begegnen. Für Juristen ist es nur schwer vorstellbar, »wie sich diese Vermengung von Rechten und Pflichten sinnvoll miteinander verbinden lassen soll«.
Während im ersten Absatz noch das Recht auf freie Meinungsäußerung ohne Zensur betont wird, wird in Absatz zwei die Verhinderungspflicht bei digitaler Hetze, Mobbing und rufschädigenden Aktivitäten gefordert. Dabei sind alle drei Beispiele nicht klar definiert und im Einzelfall können Grenzen nur im Kontext gezogen werden.
Es mag — vor allem vor dem Hintergrund der Entwicklung von Kommunikation in sozialen Netzwerken — sinnvoll klingen, dass plakative Begriffe in gesetzliche Form gegossen werden, doch rechtlich ist es mehr als fragwürdig und im Ergebnis nicht nötig. Schon heute könnten beleidigende, verletzende oder rufschädigende Äußerungen per Gesetz bestraft werden.
Zudem kann die Verhinderungspflicht nur dann funktionieren, wenn staatliche Stellen oder Diensteanbieter entsprechende Äußerungen unterbinden. Das Unterbinden von Äußerungen ist jedoch eine Art von Zensur. Dabei sollten vor allem Demokratien Meinungen zulassen. Zwar ermögliche das erst nachträgliche Sanktionieren von Mobbing oder Hetze eine einmalige Rechtsverletzung, doch dieser Nachteil muss in Kauf genommen werden, um zu verhindern, dass Diensteanbieter oder staatliche Stellen eine Meinungsäußerung nach eigenen Kriterien bewerten und deren Veröffentlichung dann zulassen oder verweigern.
Politische Entscheidungsträger auf nationaler wie europäischer Ebene sollten sich weniger Lobby- und Unternehmensinteressen unterordnen, als eine mutigere und zukunftsorientierte Gesetzgebung forcieren. So könne geschäftliches Handeln von Unternehmen in gesetzliche Grenzen gedrängt werden, deren Verletzung sich dann auch effektiv und hinreichend sanktioniert ließe.
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