Corona einmal anders gedacht
Corona einmal anders gesehen. Dinge und Fragen die notwendig sind werden zurecht gerückt. Lesen und dann darüber nachdenken was wir im Moment tun.
Berlin/Dortmund/Essen, 21. Dezember 2020
Die richtige Einordnung von Schnelltests
Deshalb hatten einige Ausgaben der Unstatistik in den
vergangenen Monaten einen anderen als den vertrauten Charakter. Statt nur den
Finger in die Wunde zu legen, wo Statistik missbraucht wurde, haben wir
regelmäßig Vorschläge unterbreitet, wie man es besser machen kann. Die
Dezember-Unstatistik ist wie so vieles im Corona-Jahr 2020 von Ambivalenz
geprägt und verweist auf ein formal besonders gelungenes Beispiel der
statistischen Kommunikation, das aber gleichzeitig eine fragwürdige inhaltliche
Botschaft transportiert.
RKI-Infografik vergleicht Schnelltest-Varianten
anschaulich
Das Robert-Koch-Institut (RKI) hat am 10. Dezember
eine Infografik veröffentlicht,
die dabei helfen soll, die Testergebnisse von Antigen-Schnelltests auf
SARS-CoV2 zu verstehen. Sie vergleicht dabei zwei unterschiedliche Szenarien:
Einerseits das gezielte Testen von symptomatischen Personen, andererseits die
Durchführung von Massentests – also ungezielte Tests von Personen, die weder
Symptome haben noch Kontakte zu infizierten Personen hatten.
Die Ergebnisse sind in Form von Bäumen mit natürlichen
Häufigkeiten dargestellt: Anhand von jeweils 10.000 Personen, unter denen 1.000
(bei gezielten Tests) oder 5 (bei Massentests) tatsächlich infiziert sind, wird
verdeutlicht, wie viele Menschen von den Antigen-Tests fälschlicherweise als
infiziert oder nicht infiziert erkannt werden. Durch einfaches Auszählen und
Bezugsetzen der jeweiligen Personen in den vier Gruppen (richtig positiv oder
negativ; falsch positiv oder negativ) kann der Leser mit Hilfe der
Grundrechenarten zwei wichtige Wahrscheinlichkeiten ermitteln:
- Wie hoch ist mein Risiko,
infiziert zu sein, obwohl der Test negativ ist?
- Wie hoch ist mein Risiko,
infiziert zu sein, wenn der Test positiv ist?
Massen-Schnelltests liefern deutlich mehr falsch
positive Ergebnisse
In den beispielhaft dargestellten Szenarien wird
sofort klar, dass Massen-Schnelltests zwar relativ zuverlässig Infizierte
erkennen können; das Risiko, infiziert zu sein, obwohl der Test negativ ist,
liegt bei lediglich 0,01%. Beim gezielten Testen steigt es etwas an – dort
beträgt es 2,2%. Dieser absolut kleine Anstieg des Risikos einer Fehldiagnose
infizierter Personen um 2,1 Prozentpunkte bringt aber eine erhebliche Reduktion
des Risikos einer Fehldiagnose nicht infizierter Personen mit sich. Beim
Massentest beträgt das Risiko, dass ein positiver Corona-Schnelltest falsch
ist, also in Wirklichkeit keine Infektion vorliegt, ganze 98%. Fast alle,
nämlich 98 von 100 Getesteten, die ein Massen-Schnelltest als infiziert
diagnostiziert, sind also gesund! Gezieltes Testen reduziert dieses Risiko
erheblich. Es sinkt in diesem Fall um 79,6 Prozentpunkte auf 18,4%. Immerhin vier
von fünf positiv Getesteten sind demnach in diesem Szenario tatsächlich
infiziert.
Die unausgesprochene Botschaft dieses
Szenario-Vergleichs ist kaum zu überlesen: Man sollte sich nur testen lassen,
wenn ein konkreter Verdacht vorliegt beziehungsweise typische Symptome
auftreten. Aber ist die Situation wirklich so eindeutig?
Ein Anteil von lediglich fünf tatsächlich Infizierten
unter 10.000 Getesteten ist mit Blick auf die derzeitige Inzidenz kaum
wahrscheinlich. Unter Annahme einer Dunkelziffer von etwa Faktor fünf, die RKI-Leiter
Lothar Wieler im November kommuniziert hat, wäre
eine Prävalenz von 1%, also ein Anteil von 100 Infizierten unter 10.000
Massengetesteten, weitaus realistischer.
Auf das Risiko, infiziert zu sein, wenn der Test
negativ ist, hat diese veränderte Annahme kaum Einfluss. Es liegt in diesem
Szenario bei 0,02%, also absolut 2,0 Prozentpunkte unter dem Risiko einer
negativen Fehldiagnose infizierter Personen. Umgekehrt sind die Auswirkungen
jedoch erheblich. Das Risiko, dass ein positiver Corona-Schnelltest falsch ist,
liegt jetzt nur noch bei 71,2%. Unter 100 als infiziert Diagnostizierten sind
es dann immerhin 29 tatsächlich, 71 sind es nicht.
Wir haben in früheren Unstatistiken regelmäßig darauf
hingewiesen, wie missverständlich die Darstellung von relativen Häufigkeiten
bzw. relativen Risiken sein kann, zuletzt in unserer November-Unstatistik zur Wirksamkeit des Corona-Impfstoffs . Selbst viele
Mediziner können Testergebnisse nicht richtig einordnen, wenn sie Informationen
über Sensitivität, Spezifität und Prävalenz in Form relativer Häufigkeiten
beziehungsweise Wahrscheinlichkeiten erhalten, wie auch diese Studie zeigt. Das liegt daran, dass das Rechnen mit bedingten
Wahrscheinlichkeiten sehr abstrakt ist. Natürliche Häufigkeiten erleichtern es
nicht nur Ärzten, die korrekten Wahrscheinlichkeiten einer Erkrankung aus
Testergebnissen abzuleiten. Sie helfen jedem Menschen, der vor der Frage steht,
sich ohne konkrete Verdachtsmomente vorsichtshalber testen zu lassen, eine
rationale Entscheidung zu fällen und sich verantwortungs- und risikobewusst zu
verhalten: Ein positives Testergebnis erfordert es, sich in Quarantäne zu
begeben, weil der mögliche Schaden für andere hoch ist. In Panik verfallen muss
man deshalb aber nicht.
Für die Entscheidungsfindung, ob man Weihnachten vorsichtshalber alleine feiert oder im Rahmen der Kontaktbeschränkungen Familie und Freunde trifft, kann ein Test deshalb durchaus ein weiterer Mosaikstein sein. Aber er kann einem nicht die Verantwortung für das eigene Verhalten abnehmen. Zumal eine Infektion auch noch nach einem negativen Test auftreten kann, wenn die Ansteckung erst wenige Tage zurückliegt.
Ansprechpartner/in:
Katharina Schüller
(STAT-UP), Tel.: (089)
34077-447
Sabine Weiler
(Kommunikation RWI),
Tel.: (0201) 8149-213, sabine.weiler@rwi-essen.de
Mit der
„Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer,
der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina
Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst
publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden
Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik.
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