Dickere Kinder als Folge der Pandemie-Zeit?
Unstatistik des Monat
Die Unstatistik Juli 2022 ist nochmals eine Zahl zum Thema Corona und Übergewicht. Bereits in der Unstatistik vom Juli 2021 hatten wir darauf hingewiesen, dass die von der TU München kolportierte coronabedingte Zunahme von 5,6 kg pro Bundesbürger auf einem statistischen Trugschluss beruht – man hatte nur die Menschen ausgewertet, die tatsächlich zugenommen hatten. Ähnlich angreifbar sind die Methoden, mit denen das gleiche Institut im Verbund mit anderen jetzt in einer repräsentativen Eltern-Umfrage eine drastische Zunahme an „dicken“ Kindern gefunden haben will.
"Zusammen
mit einer ungesunden Ernährung und einem extensiven Medienkonsum ist
Übergewicht eine schlimme Folge der Pandemiezeit,“ schreibt etwa das Deutsche
Ärzteblatt. „Fast jedes
sechste Kind in Deutschland hat seit dem Beginn der Coronapandemie an Gewicht
zugelegt. Bei den Zehn- bis Zwölfjährigen betrifft das mit 32 Prozent sogar
fast ein Drittel, wie eine Forsa-Umfrage für die Deutsche
Adipositas-Gesellschaft (DAG) und das Else Kröner-Fresenius-Zentrum für
Ernährungsmedizin (EKFZ) an der Technischen Universität (TU) München ergab.“
„Deutlich
dünner“: Erhobene Informationen bleiben vage
Angesichts
dieser Zahlen muss man sich wundern, warum nicht noch mehr Kinder während der
Corona-Pandemie an Gewicht zugelegt haben. Sie sind ja in dieser Zeit auch zwei
Jahre älter geworden. Und im Alter zwischen 10 und 12 Jahren gewinnt ein Kind
in aller Regel mit oder ohne Corona einige Kilo an Gewicht. Dieser Effekt wird
bei der Umfrage nur ungenügend neutralisiert. Forsa ließ die rund 1000 im März
und April 2022 befragen Eltern nur entscheiden, ob ihr Kind in den vergangenen
zwei Jahren der Pandemie dünner oder dicker geworden sei. Nur zwei Prozent der
Eltern gaben an: Mein Kind ist „deutlich dicker“ geworden. Ein Prozent votierte
für „deutlich dünner“. Auf jeden Fall, und in dem Umfang, wie diese Angaben
zutreffen und die Stichprobe als repräsentativ zu werten ist, sind damit 98
Prozent der deutschen Kinder während der Corona Pandemie nicht deutlich dicker
geworden,
Auch
die Definition von „deutlich dicker“ wird den Eltern überlassen, es bleibt
unklar, was „etwas“ und „deutlich“ in Gramm oder Kilogramm bedeuten. Mit
solchen Daten lässt sich statistisch alles oder nichts beweisen. Belastbare
aktuelle Daten aus bundesweit repräsentativen Gewichtserhebungen in der
Altersgruppe „3 bis 17 Jahre“ gibt es derzeit nicht. Für die Jahre 2014 bis
2017 meldete eine Erhebung des Robert-Koch-Instituts in Deutschland 5,9 Prozent
fettleibige Kinder. Der jährlich erscheinende, nicht repräsentative
DAK-Kinder-Jugendreport beziffert die kindliche Adipositasquote für 2020 auf
3,7 Prozent. Ob diese Zahlen während Corona zu- oder abgenommen haben, wäre
sicher interessant zu wissen. Die in den deutschen Medien viel zitierte und
skandalisierte Forsa-Umfrage sagt dazu leider nicht sehr viel.
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Prof. Dr. Walter Krämer,
walterk@statistik.uni-dortmund.de
Sabine Weiler (Kommunikation RWI),
Tel.: 0201/ 8149-213, sabine.weiler@rwi-essen.de
Mit der
„Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer,
der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina
Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst
publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden
Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik. Unstatistik-Autorin Katharina Schüller ist
zudem Mit-Initiatorin der „Data Literacy Charta“, die sich für eine umfassende
Vermittlung von Datenkompetenzen einsetzt. Die Charta ist unter www.data-literacy-charta.de abrufbar.
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