Atomkrieg in Europa?
Ein Atomkrieg oder thermonuklearer Krieg ist ein Krieg, der mit Kernwaffen geführt wird.
Die bisher einzigen Einsätze mit solchen Waffen in einem Konflikt waren die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki durch die USA im August 1945. Seit der Anfangszeit des Kalten Krieges besteht die Möglichkeit eines Atomkrieges. Mit dem Wettrüsten, das heißt dem Aufbau riesiger Nuklearwaffenarsenale durch die Super- und übrigen Atommächte, wurde der Atomkrieg zu einer realen Bedrohung für das Überleben der Menschheit.
Nachdem es im Kalten Krieg nicht zu einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Supermächten gekommen war, sank zunächst die Gefahr eines weltweiten Atomkriegs erheblich. Bis 2014 (Annexion der Krim durch Russland) wurde das Risiko eines Einsatzes von Kernwaffen eher in Regionen mit aufstrebenden, Nuklearwaffen besitzenden Schwellenländern wie Indien, Pakistan oder Nordkorea verortet. Ab 2014 jedoch rückten die vom Kalten Krieg her bekannten Diskussionen über „Grundfragen nuklearer Abschreckung wieder auf die euro-atlantische Agenda.“
Im August 1939, kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, unterzeichnete Physik-Nobelpreisträger Albert Einstein einen Brief an den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, der vor der Gefahr einer „Bombe neuen Typs“ warnte, die Deutschland möglicherweise entwickle und womöglich bald besitzen könne. Einstein und andere US-amerikanische Physiker erhofften sich vom Besitz von Atombomben nicht deren Einsatz, sondern eine wirksame Abschreckung gegen diesen, wenn nicht nur das nationalsozialistische Deutschland eine solche Waffe besäße. Tatsächlich wurden im August 1945 von den USA zwei Atombomben gegen Japan eingesetzt, um den Zweiten Weltkrieg auch in Japan zu beenden. Das angestrebte „Gleichgewicht des Schreckens“ gab es damals noch nicht, da es Deutschland bis 1945 nicht gelungen war, Kernwaffen herzustellen, und da die USA vor allem dadurch ein Atomwaffenmonopol besaßen. Dieses endete erst am 29. August 1949 mit der Zündung der ersten sowjetischen Atombombe. In dem Maße, in dem Atommächte ein Overkill-Potenzial entwickelten, kristallisierte sich die Einsicht heraus, dass Atombomben nicht den Zweck hätten, wirklich in militärischen Kampfsituationen eingesetzt zu werden, sondern „politische Waffen“ seien, durch die kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Atommächten verhindert werden sollten. Zentrales Merkmal der „nuklearen Abschreckung“ sei die Fähigkeit beider Kernwaffen besitzenden Kontrahenten in einem Konflikt, eine „beiderseits gewährleistete Vernichtung“ (englisch Mutually Assured Destruction) herbeizuführen. Das Akronym „mad = verrückt“ ist nicht Zufall, sondern Ausdruck von Selbstironie, indem die „MAD“-Befürworter zugeben, dass die „garantierte Vernichtung der Menschheit“ „verrückt“ sei.
Kritiker bewerten die „MAD“-Doktrin als „inkonsistent“. Karl-Heinz Kamp, seinerzeit Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, wies 2015 darauf hin, dass „MAD“ zufolge „Atomwaffen einsetzbereit sein müssen und ein möglicher Einsatz auch glaubhaft sein muss, damit sie ihre Abschreckungswirkung entfalten können. Wäre ein Gebrauch prinzipiell ausgeschlossen, wären sie wirkungslos.“ Die Drohung mit einer Folge, die auf keinen Fall eintreten dürfe, sei aber Bluff. Es müsse also auf der Gegenseite Zweifel daran geben, ob der Gegner tatsächlich nicht so „verrückt“ sei, dass er die Drohung ernst meine. Dennoch ist die Auffassung weit verbreitet, dass aus der „MAD“-Doktrin spätestens nach der Kuba-Krise 1962 ein „nukleares Tabu“ abgeleitet worden sei, demzufolge sich zumindest die großen Atommächte einig seien, dass sie keine Kernwaffen verwenden sollten. Dieses Tabu habe aber spätestens mit der Erweiterung des Kreises der Atommächte im 21. Jahrhundert zu „wackeln“ begonnen.
In den USA kam in den 1980er Jahren eine Diskussion darüber auf, ob es möglich sei, „begrenzte Atomkriege“ zu führen, bei denen Atomwaffen tatsächlich eingesetzt würden, ohne dass es zu einer Vernichtung der Menschheit käme. Spurgeon M. Keeny jr. und Wolfgang K.H. Pankofsky erklärten es 1981 für extrem unwahrscheinlich, dass ein in Europa mit konventionellen Waffen geführter Krieg nach einem erfolgreichen Vormarsch von Truppen des Warschauer Paktes durch den Einsatz taktischer Nuklearwaffen der NATO auf dieser Eskalationsstufe beendet werden könne, ohne dass anschließend strategische Atomwaffen ins Spiel kämen. Die einzig sinnvolle „Feuerschneise“ in der modernen Kriegführung bestehe zwischen nuklearen und konventionellen Waffen, nicht zwischen „selbsterklärten Kategorien atomarer Waffen“. Am 23. August 1982 bestritt der US-amerikanische Verteidigungsminister Caspar Weinberger, dass die Regierung der USA die Fähigkeit zur Führung eines Atomkriegs anstrebe. Gleichwohl fiel in seine Amtszeit der Beginn des SDI-Projekts, mit dem die USA den Versuch unternahmen, ihr Territorium gegen sowjetische Interkontinentalraketen unverwundbar zu machen, um so einen sowjetischen Erst- oder Zweitschlag zu vereiteln.
Im Jahr 1999 erklärte Präsident George W. Bush, es sei das Ziel der USA, „nutzbare“ Kernwaffen zu entwickeln, die ggf. auch tatsächlich eingesetzt werden sollten. Das entsprechende Projekt erhielt den Namen „Nuclear Utilization Target Selection“ (NUTS). Eine der Bedeutungen des Akronyms „nuts“ ist auf Deutsch „verrückt“.
Noch 1957 hatte Henry Kissinger (als Berater des New Yorker Gouverneurs Nelson Rockefeller) den Standpunkt vertreten, kleine taktische Atomwaffen „seien das verläßlichste und wirksamste Mittel, um einen weltweiten sowjetischen Vormarsch zu stoppen.“ Im Jahr 2007 hingegen forderte Kissinger, inzwischen von der Sinnlosigkeit eines Einsatzes von Nuklearwaffen überzeugt, im Wallstreet Journal eine „Welt ohne Nuklearwaffen“.
Einsatzarten von Kernwaffen
Die Formulierung „Einsatz“ ist je nach Zweckbestimmung der Waffen verschieden zu interpretieren. Bei Anhängern der „MAD“-Theorie werden die jeweiligen Einsätze nur angedroht und in möglichst realitätsnahen Simulationen „durchgespielt“, aber nicht in die Praxis umgesetzt, wenn die nukleare Abschreckung wirksam bleibt. Anhänger der „NUTS“-Theorie gehen davon aus, dass es im Zuge einer Eskalation von Kampfhandlungen sinnvoll sein könne, die Schwelle zum Einsatz von Nuklearwaffen zu überschreiten.
- Taktische Nuklearsprengköpfe sind konzipiert zum Einsatz gegen Truppen oder Infrastruktur des Gegners auf dem Gefechtsfeld, weshalb ihre Trägersysteme eine relativ geringe Reichweite aufweisen;
- Strategische Kernwaffen zielen auf strategische Ziele vor allem im tiefen gegnerischen Hinterland wie Kommandozentralen, Bunker, Raketenstellungen, Flugplätze, Häfen, Industrie usw. Üblicherweise ist ihre Sprengkraft um ein Mehrfaches größer als die taktischer Kernwaffen, ihre Trägersysteme haben eine große bis sehr große Reichweite.
Taktische Kernwaffen sollen in der Theorie (Flexible Response) dosiert zum Einsatz kommen können, ohne einen massiven nuklearen Gegenschlag auszulösen.
Erstschlag-Planungen beruhen auf der Hoffnung, dass ein massiver Nuklearschlag in Form eines Präventivschlags (mit strategischen, zu einem geringeren Teil auch mit taktischen Atomwaffen) möglichst alle Kernwaffen des Gegners zerstören kann, bevor er sie einsetzen kann. Ein Zweitschlag soll so verhindert werden. Dazu ist es aus der Sicht des Angreifers nötig, mehrere Sprengköpfe pro Ziel abzuschießen, damit auch im Falle des Abschusses einiger Sprengköpfe vor deren Detonation durch die angegriffene Seite das zu vernichtende Ziel zerstört wird.
Falls es trotz aller geplanten Eskalations-Zwischenschritte und der Hoffnung, ein Zweitschlag würde nach einem Erstschlag nicht erfolgen (können), doch zu einem großen atomaren „Schlagabtausch“ der beiden Supermächte kommen sollte, würde es keinen Sieger geben, weil die Zerstörungen unvorstellbar wären und beide Seiten rechnerisch in der Lage sind, die Bevölkerung des Kriegsgegners mehrfach zu töten („Overkill“).
Ich habe am eigenen Leib erlebt, wie es sich anfühlt wenn ein Atomkrieg ausbricht. Es war vor 50 Jahren im Jom-Kippur Krieg. (https://de.wikipedia.org/wiki/Jom-Kippur-Krieg ). Damals sind zwei Alarmrotten der Luftwaffe mit scharfen Atombomben aus Landsberg und Memmingen auf dem Übungsplatz in Deci für den Einsatz auf den Balkan und im Mittelmeer bereit gestanden. Für einen 20 Jährigen ein bleibendes und für immer prägendes Erlebnis.
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