Die Kultur des Scheiterns


Dem Erfolgreichen begegnet der Deutsche mit Neid und Missgunst, mit Spott und Häme überzieht er dagegen gescheiterte Unternehmer. Doch die stigmatisierten Pleitiers schlagen nun zurück. 

Der Makel des erfolglosen Unternehmensgründers verfolgt Christian Linciner bis heute. Der FDP-Chef fuhr regelrecht aus seiner Haut und setzte zu einer minutenlangen Wutrede an, als er im NRW-Landtag zum Thema Grün-derkultur den Zwischenruf eines SPD-Abgeordneten vernahm. Dieser hatte Lindner auf seine frühere Internetfirma Moomax erinnert, die trotzt einer Finanzierung von über 1,4 Millionen Euro durch die Staatsbank KfW mit der Idee gescheitert war, Avatare zu programmieren.

Es war und ist bis heute eine typische Szene, wie hierzulande unternehmerischer Misserfolg eingeordnet. Seit einigen Jahren ziehen sich auch in Deutschland gescheiterte Unternehmer nicht mehr verschämt und tief getroffen ins stille Kämmerchen zurück. Im Gegenteil: Sie gehen in die Offensive und berichten auf so genannten Fuckup-Nights über ihre Ideen, Visionen, Umsetzungen und darüber, was eben nicht funktioniert hatte. 

Die Initiatoren der Webseite fuckups.de haben bereits viele solcher Events in Berlin abgehalten, in der Hauptstadt der Startups kommt die Idee des »Schöner Scheiterns« prima an. Auf der Bühne über persönliche Niederlagen zu reden, erspar offensichtlich nicht nur den Psychotherapeuten. Die öffentliche Traumabewältigung ist vor allem auch für die meist jüngeren Zuhörer eine Lehrstunde in Sachen Unternehmertum. Keine BWL-Theorie ersetzt den Austausch mit Unternehmern, die bisweilen schonungslos auf unausgereifte Ideen, chaotische Firmenstrukturen und den Druck zurückblicken, den sie sich und ihrem privaten Umfeld zumuten. Marc Clemens erzählte kürzlich in Berlin von seinem Startup Sommelier Privd, das Wein-Abonnements anbot. »Gründen ist immer eine Achterbahnfahrt und Scheitern erst recht. Komisch aber, wie unterschiedlich es sich anfühlen kann und was man selbst und was andere als Scheitern sehen«, wundert er sich heute. 

Er fiel nach der wird: Den gescheiterten Unternehmer trifft in Deutschland das Stigma des Versagers. Die Angst vor gesellschaftlicher Ächtung im Falle eines Scheiterns dürfte mit ein Grund dafür sein, dass junge Menschen erst gar kein unternehmerisches Wagnis eingehen oder Unternehmer im Falle einer Schieflage ihrer Firma viel zu spät eine Insolvenz-Sanierung in Betracht ziehen. Doch mit Blick auf die USA und deren positive Einstellung zum gescheiterten Unternehmertum ändert sich auch in Deutschland allmählich das Bild vom Scheitern. Auf Fuckup-Nights sind Versager die neuen Superstars. 

Entlassung seiner 20 Mitarbeiter und der anschließenden Insolvenz in ein Loch. Bloß nicht in Selbstzweifel verharren und aus der Not eine Tugend, sprich wertvollen Erfahrungsschatz machen, lautet die Devise auf Fuckup-Nights. Und in der Tat: Es funktioniert. Wer sein Scheitern mit einer gehörigen Portion Selbstironie und Humor in Szene setzt, kann sogar die Herzen der Zuhörer erobern. Von einem Stigma ist keine Rede mehr. Im Gegenteil: Ohne eine entsprechende Story über einen Flop, fühlen sich angehende Jungunternehmer irgendwie unvollständig, wenn sie von einer inspirierenden Fuckup-Night nach Hause gehen. 

Trost finden sie in der Statistik und in den USA. Denn die Wahrscheinlichkeit des unternehmerischen Misserfolgs ist groß. Jeder dritte Gründer in Deutschland hat zuvor mindestens ein Startup bereits eingestellt, berichtet der Startup Monitor der KPMG von der »Kultur des Scheiterns«. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in den USA traditionell eine solche positive Einstellung zur unternehmerischen Niederlage. Und die hat nicht nur mit persönlicher Traumabewältigung zu tun. Max Levchin hat fünf Anläufe gebraucht, bis er mit einem Startup Anerkennung und Erfolg feierte. »Es war keindmi'roßartige Geschichte, aber es funktionierte«, sagt der Mitbegründer und ehemalige CTO von Paypal. 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Der Mollenhauer - der letzte seines Standes

Donalds big deal

Der Feilenhauer - der letzte seines Berufs